Montag, 18. März 2013
Flora zwischen zwei Männern
Flora und Mathias sind Geschäftspartner und inzwischen Freunde geworden: Sie betreiben ein Restaurant auf Kreta. Eines Tages bricht Lutz in ihr Leben ein. Früher waren Mathias und er eng befreundet ...
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"Gelernter Koch mit Auslandserfahrung sucht Partner(in), um mit ihm (ihr) zusammen ein Jahr lang ein Restaurant auf Kreta zu betreiben. Er (sie) sollte ausser Griechisch auch Englisch und möglichst Französisch sprechen und Erfahrung im Gaststättengewerbe haben."

Flora lass die Anzeige zum dritten Mal. Schade, dass sie weder Griechisch sprach, noch Erfahrung im Gaststättengewerbe hatte. Mit Englisch und Französisch konnte sie dagegen aufwarten und der nötigen Begeisterung auch. Hier hielt sie jedenfalls nichts zurück: Sie war seit letzter Woche arbeitslos - und beinahe froh darüber, denn ihr Chef war ein Scheusal gewesen. In ihrer kleinen Wohnung fiel ihr die Decke auf den Kopf, und ihr Liebesleben glich seit zwei Jahren einer Wüste. Mit 27 Jahren kam sie sich vor wie auf's Abstellgleis geschoben. Warum sollte sie nicht anrufen? Wer nicht wagt, gewinnt nicht ...
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Wie jeden Morgen wachte Flora gutgelaunt und voller Tatendrang auf. Als erstes lief sie zum Fenster, um die blau gestrichenen Läden zu öffnen. Der Blick auf den gleissenden tiefblauen Golf von Mirampéllu, in dessen Halbrund sich das Hafenstädtchen Aghios Nikolaos schmiegte, begeisterte sie immer wieder auf's Neue ...

Als sie zwanzig Minuten später in ihrem buntgeblümten Sommerkleid die Terrasse betrat, war dort schon der Frühstückstisch gedeckt.

"Guten Morgen, Mathias", lächelte sie.

"Guten Morgen, Flora. Gut geschlafen?" Mathias schenkte ihr Kaffee ein. Die Sonne sauberte kupferfarbene Lichter auf Floras kurzgeschnittene Locken, streichelte die zarte Rundung ihrer Wangen und küsste jede einzelne ihrer Sommersprossen.

"Danke, hier schlafe ich immer gut", antwortete sie. Es war die Wahrheit. Der graue, norddeutsche Winter lag in ihrer Erinnerung viel weiter zurück als nur sechs Monate. Das Telefongespräch damals hatte ihr Leben geändert.

"Mathias Eckert, ja bitte?" hatte sich eine sympathische Männerstimme gemeldet. Obwohl sie ihm gleich ehrlich sagte, dass sie kein Griechisch konnte und nicht im Gaststättengewerbe tätig war, sondern eine kaufmännische Ausbildung hatte, schlug er ihr ein Treffen in einem Café vor.

Als sie ihn sah, hatte sie sofort Vertrauen gefasst in den mittelgrossen Dreissigjährigen mit den breiten Schultern. Mathias hatte ein angenehmes Gesicht, die brauen Augen unter dem dunklen Haarschopf blickten warm und aufmerksam, und alles, was er tat und sagte, wirkte ausgereift und gut durchdacht.

Er hatte ihr erklärt, dass er zuletzt als Koch in Frankreich gearbeitet hatte, sich aber gern selbstständig machen wollte. Dieses Restaurant auf Kreta schien ihm ein guter Einstieg zu sein. Der Besitzer, ein Deutscher, wollte es aus familiären Gründen für ein Jahr verpachten. Er, Mathias, würde kochen, wärend sein Partner oder seine Partnerin sich um die Gäste kümmern sollte. Über dem Restaurant befände sich eine möblierte Privatwohnung mit Terrasse. Es gäbe zwei Schlafzimmer, das Wohnzimmer und das Bad würden sie sich teilen.

Nach einer Stunde kam es ihnen beiden vor, als würden sie sich seit Jahren kennen. Schliesslich meinte Mathias, dass er sich freuen würde, wenn sie gemeinsam mit ihm das Abenteuer wagen würde. In den zwei Monaten, die ihnen bis zum Pachtantritt blieben, könne sie sich sicher noch Griechischkenntnisse aneignen. Er selbst nahm gerade an einem Intensivkurs teil.

Seit Flora auf Kreta war, hatte sie nicht eine Sekunde bereut, sein Angebot angenommen zu haben.

Sie trank mit Genuss einen Schluck Kaffee, bestrich eine Scheibe Toast mit Butter und Honig und erwiderte: "Jeden Morgen, wenn ich aufwache, bin ich glücklich."

Mathias lachte: "Mir geht es auch so. Obwohl man nicht sagen kann, dass wir auf der faulen Haut liegen. Aber wir tun das, was uns Spass macht und sind unser eigener Herr. Dazu scheint jeden Tag die Sonne, und wir haben diesen wunderbaren Blick auf's Meer."

Mathias, der jeden Morgen früh aufstand, hatte bereits am Hafen fangfrischen Fisch und Meeresfrüchte eingekauft, und der alte Costa war auch schon wie jeden Tag mit den Erzeugnissen seines Bauernhofs dagewesen. Nach dem Frühstück besprachen Flora und Mathias die Speisekarte und kalkulierten die Preise, dann ging Mathias nach unten, um mit den Vorbereitungen für das Mittagessen zu beginnen.

Während Flora rasch die Wohnung aufräumte, dachte sie an den Tag, der vor ihnen lag. Es würde jetzt rundgehen bis drei Uhr Nachmittags. Dann konnte sie eine Siesta machen oder an den Strand gehen, ehe Abends der Restaurantbetrieb wieder begann. Mathias hatte recht: Sie lagen wirklich nicht auf der faulen Haut, aber noch nie hatte sie sich so gut gefühlt. Und ihre Belohnung waren zufriedene Gäste.

An diesem Abend betrat mitten in der Stosszeit der bestaussehendste Mann, der Flora je über den Weg gekommen war, das Restaurant.

"Ist bitte noch ein Tisch frei?" fragte er.

"Leider nein", bedauerte sie.

Er lachte. Seine weissen Zähne blitzten im sonnengebräunten Gesicht: "Macht nichts, dann komme ich später wieder. Ich bin übrigens ein Freund von Mathias."

"Ich sage ihm schnell Bescheid", bot Flora ihm an, aber er wehrte ab: "Ich möchte ihn überraschen."

Er tauchte wieder auf, als sie gerade nach den letzten Gästen die Tür verschliessen wollte.

"Passt es jetzt besser?' erkundigte er sich.

"Viel besser", lächelte sie ihm zu und liess ihn herein. Mathias, der aus der Küche gekommen war, starrte den später Besucher an, als handelte es sich um eine Erscheinung. Einen Augenblick wirkte sein Gesicht völlig ausdruckslos.

"Mathias, erkennst du mich nicht wieder?" fragte dieser endlich.

"Oh doch, Lutz", antwortete Mathias schliesslich grimmig.

Der Besucher lächelte Flora zu: "Ich heisse also Lutz. Lutz Weigand."

"Flora Lorenz", stellte sie sich ebenfalls vor.

"Wie gut der Name zu Ihnen passt: Flora, schön wie eine Blume."

Seine Stimme war wie ein Streicheln, die zwingenden blauen Augen liessen sie nicht los. Eine heisse Woge durchfuhr die junge Frau.

"Es ist eine ziemliche Frechheit, dass du hier auftauchst", stiess der sonst so gastfreundliche Mathias zwischen den Zähnen hervor.

Flora sah ihn erstaunt an, aber Lutz hob bekümmert die Schultern: "Die alte Geschichte mit Lydia, stimmt's? Das ist doch schon zehn Jahre her!"

"Ich habe nichts vergessen!"

"Mathias hat ein Elefantengedächtnis", wandte Lutz sich an Flora, "dabei war es eine Lappalie, ein Streit um eine Frau, die es nicht wert war, dass zwei gute Freunde sich ihretwegen entzweiten."

Er ging einen Schritt auf Mathias zu und streckte ihm die Hand entgegen: "Ich habe dich schon damals um Entschuldigung gebeten."

Mathias übersah die Hand: "Was willst du?"

Lutz seufzte komisch: "Gibt es hier eine Übernachtungsmöglichkeit für mich? Alle Hotels sind besetzt, und ehrlich gesagt, bin ich momentan auch knapp bei Kasse."

"Und woher weisst du meine Adresse?"

"Purer Zufall. Ich las deinen Namen auf der Speisekarte draussen."

Flora sah, dass Mathias' Kieferknochen malmten. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass es gute Gründe dafür geben musste, trotzdem versuchte sie, zu vermitteln: "Mathias, es ist spät. Er kann doch auf dem Klappsofa im Wohnzimmer übernachten."

"Und wann gehst du wieder?" fragte Mathias knapp.

Flora war seine Unhöflichkeit peinlich, aber Lutz antwortete bereitwillig: "Spätestens am nächsten Ersten, das heisst in drei Wochen. Dann kommt wieder Geld auf mein Konto. Ihr könnt mich aber auch vorher jederzeit hinauswerfen."

Und wieder zu Flora gewandt: "Ich bin das schwarze Schaf der Familie. Das dafür bezahlt wird, sich vom Familienunternehmen fernzuhalten."

Flora war schockiert: "Warum arbeiten Sie nicht?"

"Ich habe nichts dagegen. Wenn Ihr gegen Kost und Logis Arbeit für mich habt, würde ich mich freuen."

So kam es, dass Lutz Flora im Restaurant half. Er machte seine Sache ausgezeichnet. Besonders die weiblichen Gäste waren entzückt.

Was Flora anging, so verliebte sie sich von Tag zu Tag mehr. Es war eine quälende, verzehrende - und allem Anschein nach einseitige Liebe, denn Lutz war nie mehr als nur freundlich zu ihr.

Und Flora fiel auf, dass Mathias, der Lutz im Übrigen möglichst aus dem Weg ging, seine Lebensfreude verlor. Flora machte sich Sorgen um den Freund. Einmal, als sie mit ihm allein war, fasste sie sich ein Herz: "Was ist denn damals bloss zwischen Lutz und dir vorgefallen?"

Nach kurzem Zögern erzählte er ihr die Geschichte: "Lutz und ich waren beide zwanzig. Nachdem wir während der ganzen Schulzeit unzertrennlich waren, hatten unsere Wege sich getrennt: Ich machte nach dem Abitur eine Kochlehre - zur Enttäuschung meiner Eltern, denen ein Studium lieber gewesen wäre - und Lutz studierte im Ausland. Ich hatte eine Freundin, eben diese Lydia. Ich war sehr in sie verliebt, obwohl ich heute weiss, dass es nicht die ganz grosse Liebe war. Und eines Tages kam Lutz zu Besuch - und siegte. Wenn er Lydia wenigstens glücklich gemacht hätte, aber sie war nur ein Spielzeug für ihn. Du kennst ja jetzt Lutz: Er ist intelligent, selbstsicher, sieht blendend aus, und er nimmt nichts ernst im Leben. Alles fällt ihm in den Schoss. Er hat die Leichtigkeit, die mir fehlt. Damals habe ich mir glühend gewünscht, so zu sein wie er. Vielleicht war deshalb die Enttäuschung so gross."

"Du solltest ihm verzeihen", sagte Flora leise, "er ist bestimmt nicht schlecht."

"Er glaubt, dass er sich alles erlauben kann, und vielleicht kann er das tatsächlich."

"Es sieht so aus, als wäre er gern hier", sagte Flora und merkte nicht, wieviel Hoffnung in ihrer Stimme mitschwang.

Mathias sah sie aufmerksam an: "Im Augenblick braucht er uns, aber sobald er wieder flüssig ist, wird er verschwinden. Die Freiheit ging ihm schon damals immer über alles."

"Vielleicht hat er sich geändert?"

"Vielleicht." Leise fügte er hinzu: "Trotzdem: Pass auf dich auf, Flora!"

Sie wurde rot: "Warum sagst du das?"

Er lächelte ihr zu: "Nur so."

Abends, als Mathias schon nach oben gegangen war, schloss sie hinter den letzten Gästen das Restaurant zu. Nur Lutz war noch unten. Er stand so dicht neben Flora, dass ihre Knie weich wurden und sie ein süsses Ziehen im ganzen Körper spürte.

"Ich muss dir etwas sagen, Flora."

Sie hielt den Atem an: "Ja?"

"Ich glaube, ich liebe dich, aber ich möchte Mathias nicht noch einmal eine Frau wegnehmen."

"Aber ... es ist nichts zwischen Mathias und mir. Wir arbeiten zusammen und sind gute Freunde, nichts weiter."

"Mathias liebt dich, ich bin nicht blind."

Sie starrte ihn ungläubig an: "Davon weiss ich nichts."

Er lächelte ihr zu: "Wenn du nicht zu müde bist, könnten wir uns gleich am Strand treffen."

Sie war nicht mehr müde. Sie war selig. Trotzdem fragte sie: "Was hast du denn weiter vor, Lutz? Ich meine, willst du hier bleiben?"

Lutz blickte sie überrascht an: "Meinst du, dass das möglich ist?"

"Morgen sprechen wir mit Mathias. Arbeit gäbe es genug für drei."

"Einverstanden." Er küsste sie leicht auf die Wange. "Also, bis gleich am Strand? Für den Fall, dass Mathias noch nicht schläft, ist es besser, wir gehen getrennt dorthin. Ich möchte ihm nicht unnötig weh tun. In Ordnung?"

Es gefiel ihr nicht, Mathias zu hintergehen, aber die Sehnsucht nach Lutz war zu stark, und sie kannte Mathias' Meinung über ihn. Er würde sie, hoffte sie, bald ändern. Sobald sie mit ihm gesprochen hatten.

"Geh du voraus", schlug sie vor. "Ich komme nach."

Als sie die Tür zum Treppenhaus öffnete, um die schmutzige Wäsche unter die Treppe zu legen, hörte sie oben Mathias' Stimme: "Darf ich wissen, was für Pläne du für die nahe Zukunft hast, Lutz? Morgen ist der Erste."

Flora hielt den Atem an. Jetzt würde Lutz ihm sagen, dass er weiter mit ihnen arbeiten wollte. Statt dessen hörte sie ihn lachen: "Keine Bange, du wirst mich bald los sein, spätestens nächste Woche ziehe ich weiter. Mein Herr Bruder hat wie jeden Monat brav das Geld auf mein Konto überwiesen."

"Hast du das Flora schon gesagt?"

"Noch nicht."

"Und wann wirst du das tun?"

"Kannst du das nicht mir überlassen? Hör zu, ich würde mich gern weiter mit dir unterhalten, aber ich hab ein Rendezvous am Strand. Ich wollte nur schnell andere Schuhe anziehen."

"Ein Rendezvous mit Flora?"

"Geht dich das etwas an? Ich weiss, dass du sie liebst, aber deswegen brauchst du nicht den Aufpasser zu spielen. Sie selbst empfindet nur Freundschaft für dich, hat sie mir gesagt."

"Das ist ihr Recht, aber es ist nicht dein Recht, mit ihren Gefühlen zu spielen. Wenn es Flora ist, und du ihr weh tust, bekommst du es mit mir zu tun", sagte Mathias ruhig.

Wieder lachte Lutz: "Du bist wie mein Bruder. Ihr nehmt alles so tierisch ernst."

Flora hörte Schritte die Treppe herunterkommen und versteckte sich rasch in der Niesche unter der Treppe. Fröhlich pfeifend ging Lutz so dicht an ihr vorüber, dass sie ihn hätte berühren können. Noch vor fünf Minuten hatte sie ihrem Rendezvous entgegengefiebert, jetzt fühlte sie sich, als hätte man einen Kübel Eiswasser über sie ausgeschüttet ...

Als sie die Tür zum Wohnzimmer öffnete, fuhr Mathias, der am Fenster stand, herum.

"Oh, du bist es", lächelte er. "Da bin ich aber erleichtert. Ich dachte, du wärst mit Lutz verabredet."

"Ich war es", erwiderte sie leise, "aber dann habe ich, ohne es zu wollen, euer Gespräch mit angehört."

"Das tut mir leid ..."

"Braucht es nicht", entgegnete sie tapfer. "Im Gegenteil."

Plötzlich stieg Röte in Mathias' Gesicht. Wenn Flora das Gespräch mit angehört hatte, wusste sie auch, dass er sie liebte ...

"Warum hast du mir nie gesagt, dass du mich liebst?" fragte sie nun auch ganz leise.

"Ich ... mir fehlte der Mut. Du bist so schön."

"Du siehst auch gut aus, Mathias."

"Nicht so gut wie Lutz."

"Dein Herz ist aber viel schöner. Und darauf kommt es an."

Sie trat dicht an ihn heran und lehnte den Kopf an seine Schulter. Als seine Arme sich fest und warm um sie schlossen, fühlte sie sich den Tränen nahe und gleichzeitig auf geheimnisvolle Art getröstet.

"Hast du noch ein wenig Geduld mit mir?" bat sie. "Euer Gespräch mit angehört zu haben, hat mir die Augen geöffnet und mich von meiner Blindheit geheilt, aber ... ich muss das noch irgendwie verarbeiten."

"Du hast alle Zeit dieser Welt", sagte er ernst. So standen sie lange da, er wiegte sie sanft in seinen Armen, und in ihr wuchs die Gewissheit, dass dies und kein anderer der Mann ihres Lebens war, der Mann, der sie glücklich machen würde ...

ENDE

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