Donnerstag, 28. Februar 2013
Ein Zauberer in Annes Leben
Eine Reihe von Verstrickungen hat dazu geführt, dass Anne mit 28 Jahren wieder bei ihrer Mutter lebt – und sie nicht Olivers wegen verlassen mag, obwohl sie weiss, dass er der Mann ihres Lebens ist. Nur ist Oliver nicht bereit, sich damit abzufinden …
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“Na, wie war’s?” fragte Wilma Böttcher gespannt.

“Setz dich erst mal, Mutti!” Anne nahm ihrer Mutter die Einkaufstüten ab und legte sie auf einen freien Stuhl. “Das war ja eine richtige Kauforgie”, lächelte sie.

Wilma zog eine halb schuldbewusste, halb spitzbübische Grimasse: “Irgendwie brauchte ich das. Muss am Frühling liegen. Und jetzt spann mich nicht länger auf die Folter!”

“Was möchtest du trinken?”

“Irgend etwas, aber erzähl!”

Anne bestellte zwei Piccoloflaschen.

“Sekt am Morgen?” wunderte sich Wilma. “Dann ist das Vorstellungsgespräch also gut verlaufen?”

“So gut, wie es nur verlaufen konnte”, lächelte Anne, fügte aber hinzu: “Natürlich muss ich noch die Antwort abwarten, aber ich glaube, ich hab’ einen guten Eindruck gemacht.”

“Das wundert mich nicht, mein Herz”, sagte Wilma warm und bedachte ihre Tochter mit einem mütterlich stolzen Blick. Anne sah reizend aus in ihrem himbeerfarbenen Kostüm, das perfekt zu ihren halblangen, lockigen dunklen Haaren, den braunen Augen und dem rosigen, frischen Teint passte. Auch sie, Wilma, hatte einst diese lockige Haarpracht besessen, bis sie ihr leicht ergrautes Haar zu Rolands Kummer hatte kurz schneiden lassen. Roland. Ihr geliebter Mann, der vor drei Monaten, mit nur 55 Jahren, einem Herzinfarkt erlegen war …

Der scharfe Schmerz war wieder da, nahm ihr den Atem. Sie musste ihn wegschieben, Anne zuliebe, die das Glas hob, um mir ihr anzustossen.

“Auf deine Stelle, und dass es klappt! Aber eigentlich bin ich ganz sicher”, sagte Wilma herzlich.

“Auf dich und Vati”, erwiderte Anne. “Ich werde euch nie genug danken können für alles, was ihr für mich getan habt. Es wäre so schön gewesen, wenn Vati …” Sie stockte. Ihre Stimme brach.

“Vati wusste, dass du es schaffen würdest, und was wir für dich getan haben, war doch selbstverständlich.” Wilma liess sich haargenau das Vorstellungsgespräch erzählen und kam wie Anne zu dem Schluss, dass die Stelle ihr praktisch sicher war: “Dein zukünftiger Chef wäre auch schön blöd, wenn er sich eine derart kompetente Mitarbeiterin entgehen liesse.”

“Mutti, ich habe fast ein Jahr ausgesetzt …”

“Dafür konntest du nichts.” Wilma trank den letzten Schluck: “So, Liebes, ich fahre jetzt nach Hause.”

“Schon? Warte, ich komme mit.”

“Nein”, sagte Wilma mit fester Stimme, “bleib du noch ein wenig hier sitzen. Ich kümmere mich um’s Mittagessen.” Sie stand auf, griff nach den Tüten.

“Lass sie hier, ich bringe sie mit.” Plötzlich sah Anne, dass die Augen ihrer Mutter in Tränen schwammen. Wortlos liess Wilma die Einkäufe stehen, hastete davon. Anne wollte ihr nachstürzen, aber sie hatte noch nicht bezahlt, und irgend etwas hielt sie auch davon ab …

“Stört es Sie, wenn ich mich an Ihren Tisch setze?” fragte eine angenehm klingende Stimme. Der Mann, der vor ihr stand, mochte Anfang dreissig sein. Er hatte ein schmales, intelligentes Gesicht, sein volles dunkles Haar war zurückgekämmt.

“Natürlich nicht”, erwiderte sie.

Er setzte sich und warf ihr einen bewundernden Blick zu: “Welch ein Glück, dass nur an Ihrem Tisch noch ein Platz frei war.” Dann sah er die beiden kleinen Flaschen Sekt: “Oh, Sie sind nicht allein?”

“Jetzt schon. Ich habe mich mit meiner Mutter hier getroffen. Sie ist gerade nach Hause gefahren.”

“Für Mütter habe ich etwas übrig. Ich hab’ selbst eine ganz liebe. Würden Sie noch ein Glas mit mir trinken?”

Sie wollte dankend ablehnen, aber er bestellte schon. “Ich möchte nämlich etwas feiern”, erklärte er.

“Na gut”, gab sie nach und stellte überrascht fest, dass sie sich wohl fühlte. Als der Sekt vor ihnen stand, fragte sie: “Also, was feiern Sie nun?”

“Mehreres. Dass ich mit einer bezaubernden Frau auf einer Café-Terrasse sitze. Dass ich nach acht Jahren in den U.S.A. in Deutschland zurück bin, dazu in einer so schönen Stadt wie Hamburg, und dass meine amerikanische Firma mich mit dem Aufbau einer Filiale beauftragt hat. Und Sie? Hatten Ihre Mutter und Sie auch etwas zu feiern?”

“In unserem Fall waren es Vorschusslorbeeren. Ich hatte ein vielversprechendes Vorstellungsgespräch.”

“Herzlichen Glückwunsch. Übrigens, ich heisse Oliver Neeven. Von Beruf bin ich Informatiker.”

“Anne Böttcher. Ich bin Verlagskauffrau.”

Lächelnd tranken sie sich zu, und Anne merkte auf einmal, dass sie schon einen kleinen Schwips hatte. Es war ein Gefühl, als schwebte sie auf einer kleinen Wolke – und es tat ungeheuer gut.

“Sind Sie Hamburgerin?” fragte er.

“Ja, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Nach meiner Berufsausbildung habe ich allerdings fünf Jahre in Paris gearbeitet.”

Er beugte sich vor: “Wie interessant, das müssen Sie mir bitte genau erzählen!”

Aber sie sah auf die Uhr und meinte erschrocken: “So spät ist es schon? Ich muss gehen!”

Sie winkte dem Kellner, um ihren Teil zu bezahlen, aber Oliver protestierte: “Bitte, lassen Sie mich das übernehmen.”

“Das ist zuviel.”

“Ich tu’s auch nicht umsonst. Dafür möchte ich Ihre Telefonnummer haben. Bitte”, fügte er mit einem unwiderstehlichen Augenaufschlag hinzu.

Als sie zögerte, fragte er scherzhaft: “Oder leben Sie etwa noch bei Ihren Eltern?”

“Genau”, antwortete sie steif. “Ich lebe bei meiner Mutter.” Und auf einmal war alles wieder da: ihr eigenes Unglück, dann der Tod ihres Vaters, und jetzt die Sorge um ihre Mutter, die so schwer daran trug.

Er sah ihr kummervolles Gesicht und fragte bestürzt. “Habe ich etwas Falsches gesagt? Verzeihen Sie, wenn ich gefühllos war, ohne es zu wollen.”

Weil sie Angst hatte, in Tränen auszubrechen, stand sie hastig auf. Darauf erhob auch er sich, legte einen Geldschein auf den Tisch, nahm die Einkaufstüten und griff nach Annes Arm: “Sind Sie motorisiert? Nein? Mein Auto steht dort auf dem Parkplatz. Ich bringe Sie. Sagen Sie mir nur die Adresse. Und ich möchte alles wissen.”

Während er den Wagen umsichtig durch den Verkehr lenkte und nur manchmal fragte, wo er abbiegen musste, erzählte sie: ihre Jahre in Paris, ihre Liebe zu Daniel, seinen Unfalltod kurz vor der Hochzeit. Einige Monate später hatte sie ihre Stelle verloren, weil der kleine Verlag, in dem sie arbeitete, Konkurs anmeldete. Sie kam nach Hamburg zu ihren Eltern zurück. “Das war nur als Übergangslösung gedacht, bis ich eine Stelle und eine Wohnung fand, aber ich bekam eine schwere Lungenentzündung, lag lange im Krankenhaus. Danach hat Mutti mich mit Liebe wieder aufgepäppelt, und als es mir wieder gut ging, starb mein Vater …”

Oliver hatte sie nicht unterbrochen, nur durch Kopfnicken gezeigt, dass er ihr zuhörte. Plötzlich merkte Anne, dass der Wagen vor der elterlichen Vorstadtvilla hielt. Wie lange schon?

“Ich habe Sie sicher gelangweilt oder deprimiert”, sagte sie unglücklich.

Er berührte leicht ihren Handrücken, erwiderte fast grob: “Sagen Sie so etwas nie wieder!” Und sanfter: “Ich möchte Sie wiedersehen. Darf ich Sie anrufen?”

“Könnten Sie mir lieber Ihre Telefonnummer geben?”

Er notierte die Nummer, reichte ihr den Zettel. Sie steckte ihn in ihre Tasche und sagte leise: “Danke für’s Bringen, Oliver, das war sehr nett von Ihnen.”
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Wilma hatte mit dem Essen auf sie gewartet. Als Anne ihr Vorwürfe machte, warum sie nicht schon angefangen hatte, meinte sie: “Ach Kind, ich hab’ sowieso keinen Appetit. War’s noch schön in der Stadt?”

“Ja”, nickte Anne. “Ich hab die Sonne genossen und darüber die Zeit vergessen.” Sie brachte es nicht fertig, ihrer Mutter von ihrer Begegnung mit Oliver zu erzählen, obwohl sie ganz von ihr erfüllt war.

Zwei Tage später kam der Bescheid, dass Anne die Stelle bekommen hatte. Wilma freute sich mit ihr. “Sicher wirst du jetzt eine eigene Wohnung suchen?” erkundigte sie sich.

“Aber Mutti, ich dachte, ich bleibe hier wohnen. Wir sind doch beide allein?”

“Natürlich, mein Kind. Ich meine, wenn du das wirklich möchtest”, meinte Wilma.

Als ihre Mutter sich zu ihrem Mittagsschlaf zurückgezogen hatte, tippte Anne in ihrem Zimmer Olivers Nummer sein.

“Oliver Neeven, ja bitte?” meldete er sich.

“Hier ist Anne. Anne Böttcher …”

“Anne, endlich! Ich hatte schon fast jede Hoffnung aufgegeben.”

“Oliver, ich habe die Stelle bekommen!”

“Wau, das müssen wir feiern. Ich führe Sie heute Abend gross aus!”

“Das wird schwierig sein. Meine Mutter …”

“Haben Sie Ausgangsverbot?”

“Natürlich nicht, aber sie braucht mich.”

“Soll ich mit ihr sprechen?”

“Nein, Oliver. Also gut, ich nehme Ihre Einladung an. Ich … ich kriege das schon hin mit meiner Mutter.”

Er schlug vor, sie abzuholen. Sie zog es vor, sich mit ihm im Restaurant zu treffen. Es wurde ein zauberhafter Abend. Sie hatten sich so viel zu erzählen, entdeckten so viel Gemeinsamkeiten: Ihre Liebe zu Büchern, zu fernen Ländern, anderen Kulturen. Auch Esskulturen.

Nie, ausser mit Daniel, hatte Anne sich so glücklich, so leicht gefühlt. Aber kaum dachte sie daran, war auch die Traurigkeit wieder da. Oliver spürte das, liess ihr Zeit.

In der folgenden Zeit machten sie zusammen eine kulinarische Weltreise. Speissten in chinesischen, japanischen, italienischen, griechischen und französischen Restaurants zu Abend.

Nach ihrem Abend beim Italiener tauschten sie ihren ersten Kuss aus. Nie hätte Anne gedacht, dass sie dieses Erdbeben der Gefühle wieder spüren, dass ihr Leben wieder derart verzaubert sein könnte. Spätestens nach diesem Kuss wurde ihr bewusst, dass Daniels Bild immer mehr verblasste, dass die Trauer um ihn leichter wurde, während Oliver mehr und mehr Platz in ihrem Herzen einnahm. Sollte sie es bedauern? Sich schuldig fühlen? Sie beschloss, dass es ganz einfach das Leben war, das von neuem sein Recht verlangte.

Eines Abends meinte Oliver: “Ich kann nicht ewig im Hotel wohnen bleiben, obwohl natürlich meine Firma die Kosten trägt. Anne, lass uns gemeinsam eine Wohnung suchen!”

Sie schüttelte den Kopf: “Ich kann meine Mutter nicht im Stich lassen. Sie war da, als ich sie brauchte, jetzt braucht sie mich.”

“Ich möchte sie so gern kennenlernen!”

“Warte noch”, zögerte sie.
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Es war nach einem Abend in einem indischen Restaurant. Anne schloss leise die Haustür auf, als ihre Mutter im Hausmantel vor ihr stand. “War’s schön?” fragte sie und sah ihre Tochter aufmerksam an.

“Ja, sehr schön.”

“Du warst mit deiner Freundin Michaela im Kino, richtig?”

“Ich hab’s dir doch gesagt.”

“Ihr seid jetzt so oft zusammen. Warum lädst du sie nicht mal hierher ein? Ich würde sie auch gern mal wiedersehen.”

“Ich dachte, du … du könntest dich gestört fühlen.” Sie mochte ihre Mutter nicht ansehen.

Wilma zog sie ins Wohnzimmer, drückte sie auf’s Sofa und setzte sich neben sie: “Hältst du mich für so dumm? Michaela lebt gar nicht mehr hier, ich habe ihre Mutter gestern in der Stadt getroffen. Hast du vielleicht einen Mann kennengelernt, Anne? Aber warum hältst du das vor mir geheim?”

“Ach Mutti, ich dachte … weil du doch Vati nicht mehr hast …”

“Dass ich eifersüchtig sein und mich nicht über dein Glück freuen könnte? So wenig kennst du mich?”

Als sie Annes gequälten Gesichtsausdruck sah, legte sie den Arm um sie und drückte sie an sich: “Natürlich ist es schwer, ohne Vati weiterzuleben, aber wir hatten ein reiches, erfülltes Leben. Ein solches Leben wünsche ich dir auch. Was wäre ich denn für eine Mutter, wenn ich von dir verlangte, dass du dich hier mit mir vergräbst? Wer ist es denn? Lerne ich ihn bald kennen?”
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Im Kamin brannte ein gemütliches Feuer, als Oliver mit einem Blumenstrauss vor der Tür stand und von Wilma begrüsst wurde. “Ein ganz ungezwungener Abend”, hatte sie ihm durch Anne ausrichten lassen: “Er soll nichts Besonderes anziehen, wir leben hier ja fast auf dem Land.”

Wilma hatte sich als Köchin selbst übertroffen. Oliver war des Lobes voll. Man merkte beiden an, dass sie sich mochten. Als Oliver sie bat, ihm aus Annes Kindheit zu erzählen, holte sie das Fotoalbum. Oliver und Anne sassen auf dem kleinen Sofa, blätterten die Seiten um, während Wilma ihnen über die Schulter sah.

Ein paar Tage später, als Anne von der Arbeit nach Hause kam, erklärte Wilma munter: “Dein Abendessen steht im Kühlschrank, du brauchst es nur in der Mikrowelle warm zu machen. Ich gehe nämlich heute aus.”

“Du gehst aus?” fragte Anne überrascht. “Mit wem denn?”

“Mit einem Mann. Ich erkläre es dir später.”

Den ganzen Abend, während Anne vor ihrer Mahlzeit sass und später blicklos auf den flimmernden Fernsehschirm schaute, versuchte sie, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Ihre Mutter hatte ein Rendez-vous. Nur fünf Monate nach dem Tod ihres über alles geliebten Mannes. Sollte sie entrüstet sein oder sich freuen? Sie wollte Oliver anrufen, aber ihr fiel ein, dass er heute einem Geschäftsbesuch Hamburg zeigen musste.

Erst gegen Mitternacht drehte sich leise ein Schlüssel im Schloss.

“Du bist noch auf?” fragte Wilma, als sie die Wohnzimmertür öffnete. Irrte Anne sich, oder schwankte ihre Mutter ein wenig?

“Du … wolltest mir alles erklären.”

Wilma setzte sich vorsichtig;: “Natürlich. Das werde ich jetzt tun”, sagte sie mit etwas schwerer Zunge.

“Mutti, du hast getrunken!” stellte Anne befremdet fest.

“Mein zukünftiger Schwiegersohn hat sich nicht lumpen lassen. Es war echter Champagner.”

“Dein …”

Ihre Mutter unterdrückte einen Schluckauf und wurde wieder ernst: “Du dachtest doch wohl nicht, dass ich mit einem fremden Mann ausgehe? Also: Dein Oliver rief heute Vormittag an, um mich zum Essen einzuladen. Er wollte etwas mit mir besprechen. Du solltest aber nichts davon erfahren, deshalb konnte ich dir nicht die Wahrheit sagen. Ausserdem …”, nun erschien das Grübchen in der Wange, das Anne schon so lange nicht mehr gesehen hatte, “… wollte ich dir ein bisschen deine Geheimniskrämerei heimzahlen.”

“Hmm. Und … über was habt ihr gesprochen?”

“Über dich. Über uns drei. Und jetzt hör mir bitte gut zu. Du tust mir einen Gefallen, wenn du hier ausziehst. Bitte, sag jetzt nichts. Oliver wartet nur auf dein grünes Licht, damit ihr auf Wohnungssuche gehen könnt. Das Gespräch mit ihm hat mir klargemacht, dass wir beide uns vor lauter Rücksichtsname aufeinander das Leben unnötig schwer machen. Im Klartext heisst das: Ich möchte gern allein sein. Und sei es nur, um endlich ungestört weinen und sogar vor Qual schreien zu können, wenn mir danach zumute ist. Das, was ich für dich getan habe, hätte jede Mutter getan. Wo kämen wir Mütter hin, wenn wir lebenslang die Dankbarkeit unserer Kinder ertragen müssten? Mach’ bitte nicht so ein Gesicht, Anne. Ich bin absichtlich etwas grob. Zu unserer aller Besten. Weisst du, ich bin noch jung genug, um mir wieder ein eigenes Leben aufzubauen. Apropos, ich möchte dieses Haus verkaufen und zurück in die Stadt ziehen. Ich möchte wieder näher am Leben sein, möchte meine Freundinnen öfters sehen, möchte problemlos in Konzerte, in die Oper gehen können. Vati mochte beides nicht so gern, und ich habe schliesslich seinetwegen darauf verzichtet. Ich hatte ein Leben vor Vati – und vor dir. An manches möchte ich jetzt wieder anknüpfen. Auch du musst dein eigenes Leben leben, und noch etwas: Ich finde, es wird Zeit, dass ich endlich Enkelkinder bekomme!”

“Mutti!” Anne weinte und lachte gleichzeitig: “Wenn ich das gewusst hätte …”

Wilma sah sie liebevoll an: “Wir haben uns beide dumm angestellt. Ich bin Oliver sehr dankbar, dass er mir Mut gemacht hat, dir das alles zu sagen. Kind, das hat mir wirklich gut getan.”

Es war drei Uhr nachts, als Mutter und Tochter endlich ins Bett gingen: “Beinahe hätte ich es vergessen, Oliver möchte, dass du ihn sofort nach unserer Unterhaltung anrufst, egal, wie spät oder wie früh es ist!”

“Oliver, hier ist Anne.”

“Endlich. Wie war’s?” Seine Stimme klang hellwach.

“Und bei dir? Hamburg bei Nacht? Du bist ein Zauberer. Mutti hat mir alles erklärt.”

Er lachte: “Ich habe nur gemerkt, was ihr selbst hättet merken können, wenn ihr nicht vor lauter Liebe und Rücksichtnahme blind gewesen wärt. Und jetzt habe ich zwei Herzenswünsche: “Heirate mich, und dann suchen wir uns eine Wohnung.”

“Nein”, sagte sie.

“Nein?”

Der Anfschrei klang derart kummervoll, dass sie lachen musste: “Wir machen es umgekehrt. Zuerst die Wohnung, dann die Heirat. Sonst dauert es viel zu lange.”

“Wie lasterhaft! Und wie grausam, mir einen solchen Schreck einzujagen. Aber … ich bin einverstanden!”

Der Kuss, den er durch die Leitung schickte, war so zärtlich, dass sie glaube, ihn auf ihren Lippen zu spüren …

ENDE

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