Freitag, 15. Februar 2013
Wiedersehen in Bangkok
Dora Lorenz, eine erfolgreiche junge Geschäftsfrau, erfährt zufällig, dass ihr Freund aus Kindertagen in Bangkok lebt. Während einer Urlaubsreise besucht sie ihn. Aber Ludwig benimmt sich nach der ersten Wiedersehensfreude kühl und abweisend …
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Dora Lorenz verliess mit raschen Schritten das Hotel, winkte ein Taxi heran, stieg ein und gab die Adresse an: “142 Charoen Krung Road, bitte.“

Das Taxi fuhr an, und sie lehnte sich in die Polster zurück. Schön verrückt dachte sie. Was willst du ihm denn überhaupt sagen? Wahrscheinlich erinnert er sich überhaupt nicht mehr an dich. Und wenn, nur im Schlechten. Welcher Junge hat es schon gern, wenn ein staksiges kleines Mädchen ständig hinter ihm herrennt und jammert und bettelt: “Wohin gehst du, Ludi? Nimmst du mich mit, Ludi?”

Das Taxi kam nur langsam im Verkehrschaos von Bangkok vorwärts. Sie fächelte sich mit dem Stadtplan Kühle zu und fühlte, wie ihr Herz klopfte.

Ludwig Girod. Sie erinnerte sich noch ganz genau, als er mit seinen Eltern nebenan einzog. Fünf war sie damals gewesen, er zehn. Drei Jahre später zog er mit seinen Eltern wieder fort, und die Welt war ihr auf einmal leer erschienen. Sie hatte nie wieder etwas von ihm gehört …

Sie war weiter zur Schule gegangen, hatte ihr Abi gemacht und Wirtschaftswissenschaften studiert. Mit 32 Jahren stand sie mit beiden Füssen fest im Leben und war eine beruflich erfolgreiche Frau. Sie hatte genug Verehrer, es hatte auch den einen oder anderen Mann in ihrem Leben gegeben, aber die grosse Liebe war es nie gewesen. Es lag wohl daran, dass Ludi immer noch in ihrem Kopf herumspukte. Er war für sie der Inbegriff alles Männlichen: gross, stark, liebevoll und verlässlich.

Und nun hatte sie durch den grössten aller Zufälle seine Spur wiedergefunden. Auf einer Party, zu der sie gar nicht hatte hingehen wollen, hatten Bekannte von Bekannten von Girod & Gronholz gesprochen, die in Bangkok Computerprogramme für Firmen herstellten. Und der Girod von Girod & Gronholz hiess mit Vornamen Ludwig. Dora hatte daraufhin eine Urlaubsreise nach Thailand gebucht, und jetzt war sie auf dem Weg zu Girod & Gronholz.

Das Taxi hielt vor einem Bürohaus. Sie entlohnte den Fahrer, stieg aus und studierte die blankpolierten Messingschilder neben den Klingelknöpfen. Ärzte, Anwälte, Firmen. Und hier war es schon: Girod &Gronholz. Computerprogramme. 8. Etage links.

“Ich möchte gern Herrn Girod sprechen. Mein Name ist Dora Lorenz”, sagte Dora zu der jungen Frau am Empfang.

Die junge Frau telefonierte, dann lächelte sie: “Möchten Sie einen Augenblick Platz nehmen? Herr Girod kommt sofort.”

“Dora”, rief er da schon halb ungläubig, halb erfreut aus. Rasch führte er sie in sein Büro, bot ihr Platz an und fragte: “Möchtest du etwas trinken? Kaffee? Tee? Orangensaft?”

“Ach ja, auf eine Tasse Tee hätte ich schon Lust.”

Er bereitete ihn selbst zu, kam mit zwei gefüllten Tassen zurück und schob ihr den Zucker zu. “Wie hast du mich gefunden?” fragte er.

“Ich habe zufällig gehört, dass ein Ludwig Giraud in Bangkok lebt, und weil ich gerade hier Ferien mache, wollte ich mal vorbeischauen”, verdrehte sie ein wenig die Wahrheit. Rasch fügte sie hinzu: “Ich habe mich oft gefragt, was aus dir geworden ist.”

“Dass du dich überhaupt an mich erinnerst”, wunderte er sich. “Ich dachte, du hättest mich längst vergessen. Es waren doch nur drei Jahre …”

“Drei Jahre sind eine lange Zeit für ein Kind, und du warst so etwas wie ein grosser Bruder für mich. Ein wunderbarer grosser Bruder.” Oder klang das zu rührselig? Schnell fuhr sie fort: “Ich fürchte, ich bin dir sehr auf die Nerven gefallen.”

“Nur ein kleines bisschen und nur manchmal. Ich hab’ dich gern gemocht. Ich hätte gern eine kleine Schwester wie dich gehabt. Soll ich dir mal was verraten? Ich habe dir, nachdem wir fortgezogen waren, sogar mehrere Briefe geschrieben, aber ich habe sie nie abgeschickt.”

Er verzog seinen Mund zu einem Lächeln, aber es missglückte etwas. Er sah nachdenklich aus, fast melancholisch. Und plötzlich geschah das Wunder. Für Dora verschmolzen der Junge von damals und der Mann von heute miteinander, und auf einmal war es, als hätte es die Jahre dazwischen gar nicht gegeben, als hätte sie ihren grossen Freund wiedergefunden. Sie dachte noch ganz überwältigt darüber nach, als nebenan eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. “Ludwig, bist du da?” fragte eine tiefe Männerstimme.

“Klar, komm rein, Markus!” Es klang fast erleichtert.

Die Tür flog auf, und Dora musste schlucken. Vor ihr stand der bestaussehende Mann, den sie je gesehen hatte.

“Markus Gronholz, mein Sozius”, stellte Ludwig vor. “Er ist für das Geschäftliche hier zuständig. Markus, das ist Dora Lorenz, eine Freundin aus Kindertagen.”

In Markus’ Augen las sie unverhohlene Bewunderung: “Willkommen in Bangkok, willkommen in unserem bescheidenen Unternehmen. Wie kommt es, dass niemand einen roten Teppich vor Ihren Füssen ausgerollt hat? Himmel, sind Sie schön!”

Dora musste lachen über so viel Überschwang. Sie merkte nicht, dass Ludwig sie sinnend betrachtete.

Markus richtete sich jetzt ausschliesslich an sie. Er wollte wissen, was sie hier in Bangkok machte, wie lange sie blieb, in welchem Hotel sie abgestiegen war. Sie beantwortete die Fragen, während Ludwig schwieg.

Schliesslich wandte Markus sich an Ludwig: “Könnte ich dich einen Augenblick sprechen?”

“Selbstverständlich.”

Er entschuldigte sich bei Dora und folgte Markus in den Nebenraum. Als sie zurückkamen, wirkte Ludwigs Gesicht verschlossen, fast resigniert. Markus dagegen strahlte Dora an: “Ich brenne darauf, Ihnen Bangkok zu zeigen. Das heisst, wenn Sie mit meiner Gesellschaft vorlieb nehmen. Ich habe, im Gegensatz zu Ludwig, in den nächsten Tagen Zeit.”

Dora sah hilfesuchend zu Ludwig hinüber, aber der zuckte nur die Achseln und meinte: “Es tut mir leid, ich habe wirklich zu tun. Sonst hätte ich dir selbstverständlich auch gern die Stadt gezeigt. Aber Markus ist ein guter Fremdenführer.”
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“Nichts Schöneres gibt es für mich, als Sie ansehen zu dürfen”, strahlte Markus sie an, als sie unten standen, “aber ich vermute, dass Sie sich dabei langweilen werden. Würden Sie mich bitte wissen lassen, was Sie besichtigen möchten?”

“Oh, ich habe eine ganze Liste”, lächelte sie.”Der Tempel des Smaragdbuddhas, die Goldene Pagode, den Marmortempel, die Khlongs, die schwimmenden Märkte …”

“Erbarmen”, unterbrach er sie lachend. “Eins nach dem anderen. Fangen wir also gleich mit dem Tempel des Smaragdbuddhas an. Und Sie müssen mir versprechen, dass wir heute Abend zusammen essen!”

Nach dem Besuch des wunderschönen Tempels machte Dora sich in ihrem Hotel frisch. Um acht Uhr holte Markus sie dort ab und führte sie in ein typisch thailändisches Restaurant. Während sie sich die verschiedenen delikaten Gerichte, die zum Reis aufgetischt wurden, schmecken liessen, erzählte Markus von Ludwig: “Er ist ein Sonderling. Er versteht es nicht, das Leben zu geniessen, und hier in Thailand ist alles gerade darauf angelegt. Das Klima, die liebenswürdigen Menschen, die Schönheit des Landes.”

Er schwieg und fuhr dann fort: “Ich liebe dieses Land. Ich werde es nie verlassen!”

Nach dem Essen, das vorzüglich geschmeckt hatte, brachte Markus sie zum Hotel zurück. Die Nacht war heiss, erfüllt von exotischen Geräuschen und Gerüchen. Dora ertappte sich bei dem Wunsch, Markus möge sie küssen. Sie sehnte sich nach Nähe und Verständnis. Nach Zärtlichkeit und Liebe.

Aber er küsste sie nicht. Er wünschte ihr eine gute Nacht, wartete, bis sie die hell erleuchtete Halle ihres Hotels betreten hatte, und schlenderte davon.

In dieser Nacht träumte Dora von Ludwig. Ludwig, immer noch Ludwig. Würde sie ihn denn nie vergessen? Am nächsten Morgen rief sie ihn im Büro an. Sie wechselten ein paar Worte miteinander. Bei ihm klangen sie förmlich, fast steif. Ziemlich schnell entschuldigte er sich mit dringender Arbeit und legte auf. Sie war verwirrt und traurig und hatte auf einmal Lust zu weinen.

Aber schon summte das Telefon. Sie hob ab und meldete sich.

Markus fröhliche Stimme wünschte ihr einen guten Morgen: “Was haben Sie heute vor, schöne Dora? Setzen wir unsere Besichtigung fort? Ich schlage eine Bootsfahrt auf den Khlongs vor.”

Wie im Flug verging der Tag. Während des Abendessens, diesmal in einem chinesischen Restaurant, erzählte Markus aus seiner Kindheit. Von seinen wohlhabenden Eltern, die ihn sehr jung in ein Internat gegeben hatten. Er hatte sich dort einsam gefühlt …

“Woher kennen Sie eigentlich Ludwig?” fragte er plötzlich.

“Wir waren drei Jahre lang Nachbarkinder.”

“Aha, eine Sandkastenliebe?” Es klang etwas spöttisch.

“Nein, keine Liebe”, berichtigte sie etwas zu schroff.

Am nächsten Tag fuhren sie in Markus’ offenem Geländewagen zum Strand. Die Palmen, die ihn säumten, wiegten sich leise im Wind. Tiefblau lag der Golf von Siam vor ihnen. Markus kam gerade aus dem Wasser. Sein braungebrannter Körper glänzte. Er sah wirklich fabelhaft aus!

Er streckte sich geschmeidig neben Dora aus, stützte sich auf und betrachtete sie lächelnd. Aber plötzlich erlosch sein Lächeln. Sie sah das Begehren in seinen Augen, während sein Gesicht immer näher kam.

Hatte sie sich nicht vor zwei Tagen gewünscht, er möge sie küssen? Jetzt wollte sie es nicht mehr. Sie wollte nicht, dass dieser Mann sie berührte, wurde innerlich ganz steif.

Rasch fragte sie: “Wie kommt es eigentlich, dass Sie so viel Zeit haben?”

Er seufzte und liess sich in den Sand zurückfallen: “Für eine schöne Frau sollte man immer Zeit haben”, erwiderte er, aber es klang gezwungen. Es war ihm anzumerken, dass er sich zusammennahm.

“Arbeitet Ludwig denn ganz allein, während Sie … sich liebenswürdigerweise um mich kümmern?”

“Er hat mich selbst darum gebeten.”

“Er hat Sie gebeten, sich um mich zu kümmern?”

“So ist es, bezaubernde Dora.”

Sein Blick war spöttisch, fast hart. Hatte sie ihn verletzt, indem sie ihn zurückstiess? Und warum war es ihr bloss immer noch nicht egal, was Ludwig tat und was er sagte? Warum fühlte sie sich so 'abgeschoben'? Sie war doch kein kleines Mädchen mehr! Schmerz und Enttäuschung bohrten in ihr.

Markus sah sie prüfend an: “Davon abgesehen ist Ludwig sowieso ein Arbeitstier. Er denkt nur an seine Programme.”

“Nun, das kommt dann ja wenigstens dem Unternehmen zugute.” Sie hoffte, dass er ihr Bemühen um einen leichten Ton nicht bemerkte.

“Leider nicht einmal das”, erwiderte Markus kurz. “Dem Unternehmen geht es schlecht.”

“Schlecht? Wieso?” fragte Dora erschrocken.

“Unsere beiden besten Kunden haben seit geraumer Zeit Zahlungsschwierigkeiten. Dadurch sind wir selbst in grosse Schwierigkeiten gekommen. Hat Ludwig Ihnen nichts gesagt?”

“Nein. Wir haben uns ja auch nicht lange unterhalten.”

“Wir haben vor zwei Monaten darüber gesprochen. Meine Familie ist zu einer Finanzspritze bereit, aber nur unter der Bedingung, dass das Unternehmen zukünftig mir allein gehört. Das ist wohl verständlich.”

“Und was wird aus Ludwig?”

“Ich werde ihn selbstverständlich auszahlen, aber viel wird es leider nicht sein, so wie die Dinge liegen. Ich habe ihm natürlich angeboten, als Angestellter weiter für das Unternehmen zu arbeiten, aber er hat abgelehnt. Er will nach Deutschland zurück. Machen Sie sich keine Sorgen um ihn, Dora. Er wird zurechtkommen. Er ist ein sehr guter Mathematiker. Leute wie er werden gesucht.”

Er brach ab und lächelte: “Aber lassen wir doch dieses unerfreuliche Thema. Es ist so schön hier. Möchten Sie nicht ins Wasser kommen?”

Er stand auf und wollte sie hochziehen, aber sie schüttelte den Kopf: “Ich bin müde. Könnten Sie mich ins Hotel zurückfahren, Markus?”

Während der Fahrt schwiegen sie. Markus schwor sich, dass er diese Frau noch in sein Bett bekommen würde. Zuerst hatte er das gar nicht unbedingt vorgehabt. Die immer fröhlichen Thaimädchen waren so viel unkomplizierter und vor allem anspruchsloser als Europäerinnen. Es schmeichelte ihm nur, an der Seite einer so attraktiven Frau wie Dora gesehen zu werden. Aber ihre Weigerung vorhin, sich küssen zu lassen, empfand er als Herausforderung.

Als er vor Doras Hotel hielt, hatte er sein Lächeln wiedergefunden: “Darf ich Sie heute Abend zum Essen abholen, Dora?”

“Ich weiss es noch nicht”, wich sie aus. “Könnten Sie nachher anrufen?”
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Ludwig, der am Computer sass, zuckte zusammen, als die Tür zufiel. Er wandte sich um: “Oh, du bist es, Dora.”

Seine Stimme klang müde.

Sie stemmte die Arme in die Seiten: “Warum hast du mir nichts von euren Schwierigkeiten gesagt?”

“Welche Schwierigkeiten?”

“Also bitte, tu’ nicht so dumm. Ich meine euer Unternehmen.”

“Hat Markus es dir erzählt?”

“Wer sonst?”

Ludwig nahm die Brille ab und rieb sich lange die Augen. Dann sagte er: “Es gibt mehr als ein Unternehmen, das auf diese Weise kaputt geht. Was soll’s, ich wollte sowieso nach Deutschland zurück.”

“Hat Markus dir die Unterlagen vorgelegt?”

“Ja, natürlich.”

“Und du hast sie geprüft?”

“Er ist der Geschäftsführer, und wenn er sagt, dass es schlecht steht um das Unternehmen, dann glaube ich ihm.”

Sie konnte es nicht fassen: “Du vertraust ihm blind? Ich würde gern die Unterlagen sehen. Wo sind sie?”

“In seinem Büro.”

“Zeig’s mir!”

“Aber, Ruth”, sträubte er sich, “wir können doch nicht in seiner Abwesenheit …”

“O doch, ich kann”, erwiderte sie, und es klang sehr entschlossen. “Ich hab’ nämlich das Gefühl, dass etwas faul ist an der Sache. Vielleicht täusche ich mich ja, aber ich möchte Klarheit haben. Nun komm schon!”

“Wo sind denn die säumigen Kunden?” fragte sie aufgeregt. “Alles ist in schönster Ordnung. Höchstens dieser da”, sie tippte auf ein abgeheftetes Schreiben, “der ist schon mehrmals angemahnt worden, aber es handelt sich nur um kleinere Posten. Davon geht ein Unternehmen wie eures nicht kaputt. Dein Teilhaben will dich übers Ohr hauen, mein Lieber. Er will für ein Butterbrot ein durch und durch gesundes, ja florierendes Unternehmen an sich bringen. Andererseits ist es ja geradezu rührend, wie ordentlich die Bücher gehalten sind. Und du hast wirklich nichts gemerkt?”

“Ich versteh’ doch nichts davon, und ich hab’ ihm immer auf’s Wort geglaubt”, gab Ludwig kleinlaut zu.

“So vertrauensselig möchte ich auch mal sein”, sagte sie mit nachsichtigem Kopfschütteln.

Die Tür wurde aufgerissen, und Markus fragte scharf: “Was geht hier eigentlich vor? Was macht ihr in meinem Büro? Ich warte auf eine Erklärung!”

“Markus Gronholz”, funkelte Dora ihn an. “Sie sind ein Betrüger!”

“Ich werde Sie anzeigen, wegen Hausfriedensbruch!”

Sie lachte ihm ins Gesicht: “Sie werden sich hüten. Geben Sie Ludwig, was ihm zusteht. Das ins Unternehmen eingebrachte Geld und den Gewinn. Mir können Sie nichts vormachen, Markus, ich verstehe etwas von Geschäftsführung und Buchhaltung.”
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“Meinetwegen bist du um deine wohlverdienten Ferien gekommen”, sagte Ludwig, als er sie zwei Wochen später zum Flughafen brachte. “Du hast die ganze Zeit über den Papieren gesessen.”

“Ich hab’ es gern getan, Ludwig.” Sie versuchte zu lächeln, aber es fiel ihr schwer. Sie dachte an den bevorstehenden Abschied, und ihr Herz zog sich zusammen. Würde es ein Abschied für immer sein? Fast sah es so aus. Ludwig wollte zwar immer noch nach Deutschland zurückkommen, sobald seine Geschäfte hier abgewickelt waren, er hatte sich sogar auf Doras Rat einen Anwalt genommen, aber mit keinem Wort hatte er erwähnt, dass er sie gern wiedersehen würde. Er war höflich und liebenswürdig gewesen, vor allem aber distanziert.

Sie dagegen hatte sich endgültig in diesen Mann verliebt, der nichts von einem Adonis hatte, der nur ganz einfach der Mann ihres Lebens war. Plötzlich fühlte sie sich ausserstande, einfach so wegzufliegen. Mit dem Mut der Verzweiflung wagte sie einen Vorstoss: “Weisst du, als kleines Mädchen war ich richtig verliebt in dich. Du warst mein Held, mein absolutes Vorbild.”

Falsch, ganz falsch. Das merkte sie, als er schmerzlich sein Gesicht verzog.

“Ein schöner Held”, lachte er bitter auf. “Dumm und viel zu vertrauensselig.”

Sie begriff zu spät, dass er tief in seinem Mannesstolz getroffen war. Wie heilte man den Stolz eines Mannes? Sie schwieg unsicher, bis ihr Flug aufgerufen wurde.

“Ich muss los”, sagte sie leise.

“Ich wünsche dir einen guten Flug. Und vielen Dank für alles, was du für mich getan hast. Ohne dich hätte ich viel Geld verloren.”

“Könntest du nicht endlich damit aufhören?” fuhr sie ihn an.

“Ist doch die Wahrheit”, erwiderte er pedantisch.

Na, dann eben nicht, dachte sie trotzig, wandte sich um und ging auf den Warteraum zu, in den er ihr nicht folgen konnte. Jetzt musste sie auch noch heulen. So was Blödes! Und ein Taschentuch hatte sie natürlich auch nicht.

Auf einmal wurde sie herumgerissen. Es war Ludwig.

“Ich weiss, ich mache mich lächerlich”, brachte er mühsam hervor, “aber darauf kommt’s nun auch nicht mehr an. Dora, ich liebe dich. Als du plötzlich im Büro auftauchtest, habe ich mich wahnsinnig gefreut. Aber ich musste gleich daran denken, dass ich doch nichts mehr besass. Und überhaupt: Du bist viel zu schön und zu klug für mich. Ich wünschte, ich könnte dich jetzt wenigstens noch beschützen, aber jetzt bin ich es anscheinend, der deine Hilfe braucht!”

Plötzlich entdeckte er ihre Tränen: “Warum weinst du eigentlich?”

“Deinetwegen, du Blödmann, du begriffsstutziger Mensch! Und eins möchte ich überhaupt mal klarstellen. Lieber Ludwig, heute sind wir beide erwachsen. Warum sollte ich da nicht mal was für dich tun und auch mal etwas besser wissen? Oder ist ein Macho aus dir geworden? Und die Bemerkung über die Schönheit möchte ich auch nicht gehört haben.”

Leise fuhr sie fort: “Nicht Schönheit, sondern nur Liebe macht glücklich. Ach, Ludwig, ich liebe dich doch auch!”

Er zog sein Taschentuch hervor und wischte ihr sanft die Tränen fort: “Sehen wir uns in Deutschland wieder?” stellte er endlich die ersehnte Frage.

Und dann standen sie mitten im Strom der Fluggäste und bildeten ein Hindernis, weil sie sich selbstvergessen küssten …

ENDE

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