Sonntag, 17. Februar 2013
Lutz, Bernhard - und Andrea
Andrea ist ziemlich sauer, seit ihr früherer Verehrer Bernhard wieder aufgetaucht ist und hartnäckig versucht, ihr mit seinem Geld zu imponieren. Denn ihr Freund Lutz beschäftigt sich plötzlich mehr mit seinem Rivalen als mit ihr …
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“Ach, verflixt noch mal, ich habe nichts, was passt”, jammerte Andrea und starrte abwechselnd ihre Buchstaben und das Scrabble-Spielbrett an.

“Dann bin ich an der Reihe!” Vergnügt rieb Lutz sich die Hände und legte ein langes Wort mit Y. Er zählte gerade seine Punkte, als es an der Haustür klingelte.

“Wer kann das sein? Machst du auf?” bat Andrea.

“Damit du deine Buchstaben austauschen kannst? Wir gehen zusammen!” Er grinste sie an und streckte ihr beide Hände entgegen.

Lutz hielt Andrea immer noch an der Hand, als er auf den Knopf der Sprechanlage drückte und fragte: “Wer ist da, bitte?”

“Bernhard Helmers.”

Sie sahen sich einen Moment lang an, dann flüsterte Andrea: “Und wenn wir einfach nicht aufmachen?”

Aber Lutz drückte schon auf den Summer, und im Nu stand Bernhard vor der Tür. “Hallo! Ich wollte euch meinen Antrittsbesuch machen. Bin seit kurzem wieder im Land.” Dann trat er ohne Aufforderung ein.

“Oh, ihr habt gerade Scrabble gespielt, wie nett.” Nachdem Bernhard sich neugierig in dem gemütlichen, aber einfach eingerichteten Wohnraum umgesehen hatte, zog er ein kleines Päckchen aus der Tasche und reichte es lächelnd Andrea: “Für dich.”

Andrea entfernte das Papier und öffnete die längliche Schachtel. Einen Augenblick blieb sie stumm, dann sah sie Bernhard an: “Es ist wunderschön. Aber ... es ist zu viel, Bernhard, das kann ich nicht annehmen."

Bernhard nahm schon das Armband heraus: “Es ist echt. Gold mit Rubinen. Und natürlich kannst du es annehmen, nicht wahr, Lutz?”

“Sicher”, murmelte Lutz.

Andrea starrte zuerst Lutz und dann Bernhard an: “Ich möchte es aber nicht haben. Wie kommst du überhaupt dazu, mir ein so teures Geschenk zu machen?”

“Wenn es von Lutz wäre, hättest du doch keine Skrupel, es zu nehmen, oder irre ich mich da?” fragte Bernhard spöttisch.

“Du irrst dich sehr wohl. Ich habe mir noch nie etwas aus so kostbarem Schmuck gemacht.”

“Weil du keine Gelegenheit hast, ihn zu tragen. Ich gebe dir eine: Morgen lade ich euch beide ins beste Restaurant der Stadt ein. Zu einem tollen Kleid sieht das Armband phantastisch aus. Einverstanden?”

“Nein”, sagte Andrea.

“Doch”, widersprach Lutz.

Später stand Andrea im Bad und schaute nachdenklich in den Spiegel. Sie war hübsch, aber nicht atemberaubend schön. Gut gewachsen, aber nicht männermordend sexy. Mit blonden Haaren, blauen Augen und einem hübschen Mund. Normalerweise war sie gutgelaunt und fröhlich. Jetzt war sie wütend. Wie kam Lutz dazu, über ihren Kopf hinweg Bernhards Einladung anzunehmen, die eher einer Herausforderung glich? Würden die beiden Männer ihretwegen das ganze Leben lang Rivalen bleiben?
Andrea hatte Bernhard kennengelernt, als sie noch zur Pädagigischen Hochschule ging und er Wirtschaftswissenschaften studierte. Später wollte er in die Firma seines Vaters eintreten. Bernhard hatte sie hartnäckig umworben, bis sie ihm eines Tages freundlich erklärte, dass sie ihn zwar gern hätte, seine Liebe aber nicht erwidern könne.

Irgendwann hatte Bernhard seinen Freund Lutz Bellmann mitgebracht, der gerade seine Referendarzeit in der Kanzlei seines Onkels machte. Als sie in seine blauen Augen sah, bekam sie schlagartig weiche Knie und Herzklopfen. Bei ihr wie auch bei Lutz war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Was zwangsläufig das Ende der Männerfreundschaft bedeutete.

Andrea und Lutz zogen zusammen, und Bernhard ging nach seinem Examen in die Staaten. Zwei Jahre war er fortgeblieben.

Nun glitt Andrea neben Lutz ins Bett und schmiegte sich an ihn. Sie flüsterte ihm zu, dass Bernhard ihn mit seiner Protzerei doch nur provozieren wollte und dass sie das zum Kotzen fände. Aber Lutz reagierte nicht.
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Im Restaurant bestellte Bernhard das teuerste Menü und die besten Weine: “Ich kann’s mir leisten”, betonte er grossspurig. “Ich verdiene mittlerweile ausgesprochen gut.”

“Wie schön für dich.” Andreas bissiger Ton war nicht zu überhören.

Sie bestritt fast allein die Unterhaltung mit Bernhard, denn Lutz muffelte den ganzen Abend vor sich hin. Als die Rechnung gebracht wurde, sagte er jedoch bestimmt: “Ich zahle.”

Andrea gab ihm unter dem Tisch einen Tritt, aber Lutz schrieb mit versteinerter Miene wortlos einen Scheck aus und legte auch noch ein sattes Trinkgeld drauf.

Erst im Auto polterte Lutz zornig los: “Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass wir uns von diesem Angeber einladen lassen?”

Sie verkniff sich die Bemerkung, dass er es doch war, der die Einladung angenommen hatte. Die Stimmung war sowieso schon mies genug. Dafür kuschelte sie sich später im Bett an seinen Rücken und murmelte: “Ich liebe dich. Du hast es doch gar nicht nötig, jemandem etwas zu beweisen. Vor allem mir nicht, Liebling.”

Lutz gab auch diesmal keine Antwort. Sie hörte nur ein missmutiges Brummen.
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Am nächsten Morgen hielt Andrea das Armband in der Hand und betrachtete es sinnend. Bildete Bernhard sich wirklich sein, sie damit beeindrucken zu können? Und warum reagierte Lutz nur so empfindlich? Gewöhnlich wusste er doch ganz genau, was er wollte. Schliesslich war er nach der Referendarzeit ja auch nicht bei seinem Onkel geblieben, obwohl er sich dort in ein gemachtes Nest hätte setzen können. Aber um welchen Preis? Unter seinem selbstherrlichen, nur materiell orientierten Onkel hätte Lutz jede Selbstachtung verloren.

Andrea hatte von ganzem Herzen zugestimmt, als Lutz mit einigen anderen jungen Anwälten eine Sozietät gründete, die auch weniger betuchte Klienten beriet. Am Monatsende sah es nicht immer rosig aus, aber was machte das schon? Sie hatten ja auch noch ihr Gehalt als Lehrerin.

Sie seufzte tief auf, legte das Armband in die Schachtel zurück und beschloss, es zu verkaufen …

Wenige Tage später kreuzte Bernhard erneut auf. Bewaffnet mit einem riesigen Blumenstrauss, einer Dose echtem Kaviar und einer Flasche Champagner. Er fläzte sich auf’s Sofa, als sei er hier zu Hause.

Andrea fragte sich, warum Lutz ihn nicht einfach hinauswarf. Statt dessen musste sie sich Bernhards Sticheleien und Lebensweisheiten anhören: “Das Geld liegt auf der Strasse. Man braucht sich nur zu bücken. Ich verstehe gar nicht, dass manche es nicht schaffen. Du bist doch intelligent, Lutz! Wenn ich eimal heirate, braucht meine Frau jedenfalls nicht zu arbeiten.”

“Ich will aber arbeiten! Ausserdem macht mein Beruf mir Spass!” zickte Andrea ihn wütend an.

Lutz stürzte seinen Champagner hinunter: “Morgen rede ich mit Onkel Tom und nehme sein Angebot an.”

“Das ist doch nicht dein Ernst!” rief Andrea entsetzt.

“Idealismus ist eine Zeitlang ja ganz gut, aber man muss auch an die Zukunft denken”, beharrte er trotzig auf seiner Entscheidung.

“Aber du hast immer gesagt, dass du deinen Onkel nicht ausstehen kannst!”

“Das ist jetzt völlig egal. Wir werden heiraten und Kinder haben, und du wirst zu Hause bleiben, Liebling.”

Nun rastete Andrea förmlich aus: “Ich denke nicht daran”, schrie sie empört. “Und ich will auch keinen Ehemann haben, der vor lauter Arbeit seine Kinder nicht aufwachsen sieht!”

Ihr reichte es. Türenknallend verliess sie das Wohnzimmer und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Bernhard war wirklich im unpassendsten Moment aufgetaucht. Wie hatte sie sich darauf gefreut, Lutz zu sagen, dass sie schwanger war. Und jetzt führten die beiden Männer einen kindischen Kleinkrieg. Plötzlich hatte sie den Wunsch, weit weg zu sein …
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“Natürlich kannst du bei uns schlafen”, sagte Lydia. “Nicht wahr, Bob?”

Lydia war Andreas Freundin; sie und Bob hatten vor zwei Monaten geheiratet.

“Klar”, stimmte Bob zu. “Was ist denn los bei euch?”

Als Andrea ihre Geschichte erzählt hatte, resümierte Lydia: “Du erwartest also ein Baby, und Lutz ist übergeschnappt.” Schelmisch fügte sie hinzu: “Ich fände es ja äusserst schmeichelhaft, wenn sich zwei Männer derart um mich reissen würden.”

Niedergeschlagen erwiderte Andrea: “Sag das nicht. Ich zähle da überhaupt nicht. Sie haben ja nicht einmal gemerkt, dass ich meine Tasche gepackt und die Wohnung verlassen habe. Sie waren einmal befreundet, durch mich sind sie leider zu Rivalen geworden, und jetzt fechten die ihren Kampf aus. Wie ich darüber denke, interessiert sie überhaupt nicht. Es ist wirklich das Beste, wenn ich aus ihrer beider Leben verschwinde. Morgen werde ich mir eine Wohnung suchen.”

“Warte noch damit. Schliesslich hast du Bernhard nie Hoffnungen gemacht. Du hast sie nicht gegeneinander ausgespielt. Und Bernhard selbst war es, der dir Lutz vorgestellt hat, er hat den Wolf in den Schafstall gelassen hat, wenn man es mal so ausdrücken kann. Und denk’ an das Baby, Andrea. Gib Lutz noch eine Chance. Ich traue ihm durchaus zu, dass er wieder zur Besinnung kommt”, meinte Lydia zuversichtlich.

In dem Augenblick klingelte es Sturm. Bob ging öffnen und kam einen Augenblick später mit Lutz zurück: “Ja, sie ist hier”, grinste er und liess sich dann von Lydia in die Küche ziehen.

Nun standen Andrea und Lutz sich gegenüber. Andrea fasste sich als erste: “Was ist mit Bernhard?”

“Er ist gegangen. Als ich gemerkt habe, dass du nicht mehr da warst und auch dein Nachthemd und deine Toilettensachen fehlten, kam mir schlagartig zu Bewusstsein, dass ich mich wie ein Riesentrottel aufgeführt habe. Weisst du, Bernhard und ich waren zwar früher befreundet, aber es gab auch immer Rivalitäten zwischen uns. Bernhard wollte immer der Bessere, der Stärkere sein. Und ich liess mich auf diesen Konkurrenzkampf ein. Es war wie ein Elektroschock, als mir vorhin klar wurde, dass ich dabei war, dich zu verlieren, weil ich mich wie früher in diesen dummen Wettstreit habe hineinziehen lassen. Wir hatten eine kurze Auseinandersetzung, dann ist er wütend gegangen. Ich glaube nicht, dass er sich wieder blicken lassen wird, und wenn, dann bin ich jetzt gefeit. Denn ich weiss jetzt, dass ich nur eins möchte, nämlich dich - wenn auch du mich immer noch willst, Andrea.”

“Und dann bist du hierhergekommen?”

“Schnurstracks. Ich habe gehofft, ja, eigentlich gewusst, dass du bei deiner besten Freundin Lydia und ihrem Bob bist.”

“Dann kennst du mich ja wirklich gut. Ich bin so froh, dass jetzt wieder dieses enge Band zwischen uns besteht. Ja, ich will dich, Lutz. Ich will dich von ganzem Herzen.” Sie schlang die Arme um seinen Hals und flüsterte ihm zärtlich etwas ins Ohr.

“Was? Ein Baby? Liebling, jetzt wird geheiratet!”

“Und wir machen eine schöne Hochzeitsreise.”

Er sah jetzt besorgt aus: “Aber von welchem Geld?”

“Keine Sorge, das habe ich.” Dann drohte sie ihm scherzhaft mit dem Finger: “Meinen Beruf werde ich aber nicht aufgeben!”

Lutz nickte: “Und ich werde nicht mit Onkel Tom zusammenarbeiten.”

In dem Augenblick ging die Tür auf, und Bob stellte ein Tablett mit einer Flasche Sekt und vier Gläsern auf den Tisch. Er grinste nett: “Ich glaube, es gibt etwas zu feiern!”

“Und ich wette, ihr habt an der Tür gehorcht”, gluckste Andrea.

“Na und? Das war besser als unsere spannende Fernsehserie, die wir ja nun euretwegen nicht ansehen konnten”, lachte Lydia, die Bob gefolgt war und sich nun erleichtert aufseufzend auf das Sofa fallen liess. “Nun steht doch nicht so herum, setzt euch auch!”
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Später zu Hause fragte Lutz: “Was hast du eigentlich mit dem Armband gemacht?”

Statt einer Antwort küsste Andrea ihn nur zärtlich. Vorgestern hatte sie das Armband zu einem sehr guten Preis verkauft. Vielleicht würde sie ihm ja irgendwann einmal verraten, woher das Geld für ihre Hochzeitsreise kam …

ENDE

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