Mittwoch, 24. April 2013
Der Zauber von Paris
Gesa hat ihren Verlobten unter tragischen Umständen verloren. Sie ist dabei, sich ein neues Leben aufzubauen, als es eine unerwartete Wendung nimmt - in Paris.
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Lars Westphal stand neben der weit geöffneten Flügeltür des Wohnzimmers. Die Hauseinweihungs-Party von Patrick und Sigrid schlug hohe Wellen. Ein gutbestücktes Buffet, Getränke aller Art. Musik, die in die Glieder fuhr: Alle Zutaten eines Erfolgsrezeptes waren vorhanden. Nur bei ihm wirkte es nicht.

Er überlegte noch, ob er sich nicht diskret von seinen Gastgebern verabschieden sollte, als er die junge Frau bemerkte, die nicht weit von ihm entfernt gedankenverloren in den Garten hinaussah. Ihm war, als sei ihm alles an dieser Frau seit jeher vertraut.

Als er sich gefasst hatte, füllte er zwei Gläser mit Champagner und bahnte sich damit einen Weg durch das Gewühl.

"Ich heisse Lars Westphal. Möchten Sie vielleicht etwas trinken?"

Sie nahm das Glas, bedankte sich und stellte sich ebenfalls vor: "Ich heisse Gesa Angermann." Ihre Stimme war wie Samt und Seide.

"Wo haben Sie sich bloss die ganze Zeit versteckt?" fragte er.

Sie lachte: "In der Küche. Ich habe Sigrid geholfen."

Dann wurde sie wieder ernst, stellte ihr Glas ab und sagte leise: "Es tut mir leid, aber ich möchte jetzt gehen."

Als sie sein enttäuschtes Gesicht sah, fügte sie erklärend hinzu: "Ich bin nur gekommen, weil Patrick und Sigrid derart darauf bestanden haben."

"Darf ich Sie wenigstens nach Hause bringen?"

Sie sah ihn an und nickte dann: "Gern. Mein Auto ist nämlich in der Werkstatt." Sie war mit einem Taxi gekommen.

Schweigend ging sie neben ihm her bis zum Wagen.

Zehn Minuten später hielten sie vor einem Apartementhaus. Ehe er ihr helfen konnte, war sie schon ausgestiegen und lächelte ihm ein letztes Mal zu: "Gute Nacht, Lars, und vielen Dank für's Bringen!"

Enttäuscht liess er den Motor an und fuhr los.
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"Du hast dich ja früh aus dem Staub gemacht", sagte Patrick vorwurfsvoll, als Lars am Montag Morgen im Büro den Computerraum betrat.

"Wer ist Gesa Angermann?" fragte er.

Patrick warf seinem Freund und Kollegen einen prüfenden Blick zu: "Gesa ist eine gute Freundin von Sigrid. Sie wird nächsten Monat nach Amerika gehen."

"Nach Amerika?" Verzweiflung stieg in Lars auf.
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"Oh", sagte Gesa, als sie öffnete: "Sie sind es, Lars? Guten Morgen."

"Guten Morgen, Gesa. Ich kam zufällig vorbei", log er.

Sie sah ihn an und lächelte: "Wo Sie nun schon mal hier sind, könnten Sie mich vielleicht zum Supermarkt fahren?"

Noch nie hatte ihm das Einkaufen so viel Spass gemacht. Als sie die Tüten im Kofferraum verstaut hatten, entschuldigte sie sich: "Ich halte Sie auf. Sie haben sicher noch nicht zu Mittag gegessen?"

"Wie wär's, wenn wir da drüben etwas essen würden?" schlug er sofort vor.

Sie setzten sich an einen Tisch am Fenster. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und fragte: "Stimmt es, dass Sie nach Amerika gehen, Gesa?"

Sie hob sie Augenbrauen: "Wer hat Ihnen das gesagt?"

"Patrick. Ich habe ihn gefragt, weil ich mehr über Sie wissen wollte", antwortete er ehrlich.

"Ja, es stimmt. In drei Wochen trete ich in San Francisco meine neue Stelle an."

"Bitte, erzählen Sie mir mehr über sich."

"Sie können gern meinen Steckbrief haben: Geboren bin ich vor 28 Jahren in dieser Stadt. Ich unterrichte Deutsch und Englisch an einem Gymnasium. In San Francisco werde ich ebenfalls unterrichten. An einer Privatschule."

"Und wie lange bleiben Sie dort?" fragte er angespannt.

"Ich hoffe, für immer."

"Für immer?" wiederholte er fassungslos. "Aber warum?"

Ihr Blick verdunkelte sich, und sie seufzte: "Das ist eine traurige Geschichte."

"Wo ist der Kerl, damit ich ihm meine Meinung sage?"

Traurig lächelnd schüttelte sie den Kopf: "Das wird nicht möglich sein. Er fährt Motorrad - im Paradis der Motorradfahrer. Falls es so etwas gibt."

"Und wie ist das passiert?"

"Regen. Eine unübersichtliche Kurve. Ein Auto, das mit aufgeblendeten Scheinwerfern entgegenkam. Einen Monat vor unserer Hochzeit. Es ist jetzt 18 Monate her."

"Das tut mir leid", sagte er und wusste nicht mehr weiter.

"Vielleicht könnten wir jetzt mal von Ihnen sprechen?"

Er räusperte seine Stimme frei: "Geboren vor 32 Jahren in Kiel. Nach dem Abi Studium der Betriebswissenschaft. Danach hat's mich in diese Stadt verschlagen. Ich arbeite in einer Bank."

Sie hatten ihre Mahlzeit beendet. Gesa stand auf und bat: "Könnten wir wohl fahren?"
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Gesa bereitete die letzte Unterrichtsstunde vor. In zwei Wochen würde sie in San Francisco sein. Würde dort ein neues Leben anfangen, fern von den Erinnerungen. Das Telefon klingelte. Sie hob ab und meldete sich.

"Hier ist Lars", kam es aus dem Hörer. "Kennen Sie Paris?"

"Nein", antwortete sie wahrheitsgemäss. "Leider nicht."

"Ich habe in einem Preisausschreiben eine Wochenendreise nach Paris gewonnen. Ich lade Sie ein, Gesa. Hinflug am Freitag Abend, Rückflug am Montag Morgen."

Sie überlegte. Irgendwie glaubte sie nicht, dass er die Reise gewonnen hatte, stellte aber fest, dass sie sich freuen würde, dieses letzte Wochenende nicht allein verbringen zu müssen.

"Also gut", sagte sie kurz entschlossen. "Ich komme mit."
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Paris. Brausender Verkehr, hastende Menschen, Clochards. Schmutz in den Rinnsteinen. Aber auch prächtige Strassen und Plätze. Herrliche Architektur. Farbenfrohe Märkte.

Als Lars am ersten Abend auf einer Seinebrücke den Arm um Gesas Schultern legte und ihr den im Abendrot verglühenden Himmel zeigte, stand plötzlich ihr Körper lichterloh in Flammen. War es der Zauber von Paris? Aber warum, beschloss sie spontan, als er sie küsste und sie seinen Kuss erwiderte, warum sollte ihr letztes Wochenende in Europa nicht zu einem Fest werden?

Nach der ersten gemeinsamen Nacht wusste sie, dass sie diese Paris-Reise nie vergessen würde, dass es sich mit dieser Erinnerung aber leben liess. Während der zweiten Nacht wünschte sie schon, dass diese Reise nie ein Ende nehmen würde, und am Montag, als sie im Taxi zum Flughafen fuhren, wusste sie, dass der Abschied von Lars ungeheuer weh tun würde.

Während des ganzen Rückflugs umschloss Lars' Hand die ihre, und sie dachte, dass sie sich nie auf diese Reise hätte einlassen dürfen. Wie würde sie bloss die nächste Zeit überstehen? Und Lars war so schweigsam. Woran dachte er?

Er brachte sie nach Hause. Sie standen voreinander, und er nahm sie ein letztes Mal in die Arme: "Adieu, Gesa. Viel Glück in Amerika", sagte er leise.
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Als Gesa San Francisco aus der Luft entdeckte, hatte sich der Morgennebel schon gehoben, und die Bucht glitzerte in der Sonne. Ein grandioses Schauspiel, das sie aber nicht wirklich in sich aufnehmen konnte. Sie war erschöpft vom langen Flug, und vor allem, vor allem, hatte sie Liebeskummer.

Nach dem Wochenende in Paris hatte sie nichts mehr von Lars gehört, und sie hatte tapfer dem Wunsch widerstanden, ihn anzurufen. Es war zu Ende. Daran liess sich nichts ändern. Wahrscheinlich war auch Lars zu dem Schluss gekommen, dass ihre Liebe keine Zukunft hatte. Ein ganzer Ozean würde künftig zwischen ihnen liegen. Und wer wusste denn schon, ob sie wirklich zueinander passten? Sie kannten sich doch noch nicht lange genug!

Das Flugzeug setzte auf der Rollbahn auf.

Als Gesa mit gesenktem Kopf durch die Sperre kam, sagte eine wohlbekannte Stimme: "Guten Morgen, Gesa."

Ungläubig sah sie auf - in Lars' graue Augen. Sie glaubte, das Opfer einer Halluzination zu sein.

Er lachte, und dieses jungenhafte Lachen konnte wirklich nur Lars gehören. Schon schlossen sich seine Arme um sie, und er fragte besorgt: "Ich habe dich doch nicht erschreckt? Es sollte eine Überraschung sein. Eine gute, hoffe ich. Nun sag doch endlich etwas!"

"Lars", stammelte Gesa und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte: "Lars, was machst du denn hier?"

"Diese Frage verdient es, ausführlich beantwortet zu werden", lächelte er zärtlich. "Ich schlage vor, wir holen dein Gepäck und essen dann hier im Flughafen-Restaurant zu Mittag."
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"Es war Sigrid, die mir verraten hat, wann du ankommst", erzählte er, während der Ober das riesige Steak vor sie hinstellte. "Ich bin schon seit drei Tagen hier. Ich werde ein halbes Jahr in unserer amerikanischen Niederlassung von San Francisco arbeiten. Ob ich länger bleibe, hängt von dir ab." Erwartungsvoll sah er sie an.

Sie konnte es immer noch nicht fassen: "Wie hast du das fertiggebracht, Lars? In dieser kurzen Zeit?"

"Heisst es nicht, Liebe könne Berge versetzen? Es war ein Glück, dass ich ein gültiges Visum hatte, dann haben eine Verhandlung mit Big Boss und ein paar Telefongespräche über den grossen Teich genügt, um alles in die Wege zu leiten."

Er sah ihr tief in die Augen und sagte mit vor Bewegung heiserer Stimme: "Gesa, ich liebe dich. Ich kann nicht ohne dich leben. Sag mir, willst du mich?"

"Ja Lars, ich will dich", erwiderte sie mit ihrer schönsten Samtstimme. "Ich liebe dich ja auch. Das ist mir auf dem Flug hierher endgültig klargeworden."

"Ich warne dich, Liebste", sagte er ernst. "Du wirst mich nicht mehr los!"

"Ich möchte dich auch nie mehr loswerden. Lass es dir nie in den Sinn kommen, mich zu verlassen, auf welche Art auch immer." Sie schluckte und fügte hinzu: "Ich könnte mir jetzt sogar vorstellen, eines Tages wieder nach Deutschland zurückzugehen. Mit dir."

Er lächelte ihr zu: "Glaubst du, dass bis dahin eine Dreizimmerwohnung in einem guten Wohnviertel von San Francisco, in der Nähe deiner Schule und meiner Bank, für uns das Passende ist?"

Eine Stunde später schloss er die Tür auf und trug Gesa über die Schwelle. "Es ist die verkehrte Reihenfolge", entschuldigte er sich, "aber die Hochzeit wird so schnell wie möglich nachgeholt!"

"Vorher musst du mir aber noch eine Frage beantworten: Hattest du die Paris-Reise wirklich in einem Preisausschreiben gewonnen?"

"Manchmal muss man dem Glück ein wenig nachhelfen", lachte er und verschloss ihre Lippen mit einem Kuss.

ENDE

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